vom Dienstag, 27. Juni 2006
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Fuge mit Knalleffekt
Stringent und virtuos: Gunar Letzbor im Musiksommer
Benediktbeuern. Man traute seinen Ohren nicht. Da beginnt die Gigue aus
Johann Joseph Vilsmayrs 3. Partita c-Moll für SoloVioline von 1715
in volkstümlichem, munterem Rhythmus, als plötzlich die Musik:
abbricht. Eine kurze Fermate, ein flehendes, gedehntes Innehalten. Mag sein,
dass seinerzeit im "Stilus fantasticus" die Verbindung von Gegensätzen
grundsätzlich nichts Ungewöhnliches war. Dennoch überrascht
dies in einem als Gigue ausgegebenen Tanzsatz.
Diese Vilsmayr-Partita, die eigentlich nicht auf dem Programm stand, war
ein Höhepunkt des Konzerts von Gunar Letzbor beim Musiksommer Loisachtal.
Erst vor rund zehn Jahren hat die englische Forscherin P. H. Nobes herausgefunden,
dass die Solo-Violin-Sammlung "Artificiosus concentus pro camera"
des Schülers von Heinrich Biber in der British Library doch vollendet
vorliegt. Bis dahin wurde der Zusatz Con Basso belle imitante"
so gedeutet, dass weitere Stimmen verschollen sind. Doch tatsächlich
wird hier die Solo-Violine kunstvoll zweistimmig geführt.
Mit Stringenz und Virtuosität fesselte Letzbors Geigenk1ang, alles
andere als spröde tönte seine Barockvioline. Der Österreicher
zählt zu den Experten seines Fachs: Seine CDs sind preisgekrönt,
von Reinhard Goebel und dem Musikvisionär Nicolaus Harnoncourt hat
er wichtige Anregungen zur historischen Auffiihrungspraxis erhalten. Mitgespielt
hat er in renommierten Ensembles wie Musica Antiqua Köln oder der Wiener
Akademie, Letzbor selbst gründete 1995 das Ensemble Ars Antiqua Austria.
Vor allem ist er ein Vilsmayr-Kenner, 2004 veröffentlichte er eine
viel gelobte CD bei "Arcana".
Dass es jenseits von Bachs Solo-Sonaten und -Partiten Aufregendes für
Solo- Violine zu entdecken gibt, verdeutlichte dieser spannende und lehrreiche
Sonntagnachmittag. So war es noch vor Vilsmayr der Dresdner Westhoff, der
die Geigen-Solo-Mehrstimmigkeit vorantrieb. Hierfür ließ er sich
einiges einfallen: Statt fünf zeichnete er sieben Linien und notierte
in verschiedenen Notenschlüsseln, damit auch didaktisch jedem klar
war, was er meinte. Und der mitunter belächelte Telemann? Gerade Letzbors
intensive Deutung des Largos aus der Fantasie Es-Dur mit ihrer von Zäsuren
durchsetzten sonderbaren Stimmführung offenbarte schöpferische
Innovation, die auch Bach anregte. Doch dann der Meister persönlich
- Bachs C-Dur-Solosonate: Man hätte Letzbor stundenlang zuhören
können, die Mischung aus Formgeist und universellem Gehalt faszinierte.
Glanzstück war die teuflische Fuge - eine der längsten, die der
Thomaskantor je geschrieben hat. Hier geht es nicht alleine um Schönheit,
vielmehr werden die Spielmöglichkeiten der Geige auf die Probe gestellt,
ein Experiment von musikhistorischer Sprengkraft. Dass Letzbor eine Saite
riss, war nur konsequent: Wem bei der Hitze und dem Stück nicht die
Saite reißt, macht etwas falsch. Intensität bis zum Äußersten
und großer Beifall.
MARCO FREI