REVIEW: Johann Heinrich Schmelzer, Violin Sonatas


BR Klassik, 20.03.2022 - Schmelzer zum Dahinschmelzen.

 



KOSTPROBE | 20.03.2022
von Detlef Krenge

JOHANN HEINRICH SCHMELZER -
VIOLINSONATEN

Die Violine kommt aus Italien und italienische Violinvirtuosen waren zu Barockzeiten in ganz Europa begehrt. In seiner Heimat Österreich begründete schließlich Johann Heinrich Schmelzer eine eigenständige Entwicklung. Seine Violinsonaten sind wie gemacht für Gunar Letzbor und sein Ensemble Ars Antiqua Austria.

Eine Basslinie, die sich ständig wiederholt. Darüber eine Violine, die sich in immer neuen Variationen zeigt. Mehr und mehr entfaltet das Soloinstrument die ganze Pracht seiner Möglichkeiten. Zu hören ist das im ersten Satz der 4. Violinsonate von Johann Heinrich Schmelzer.

GRENZBEREICHE DER GEIGE

Diese Ostinato-Variationsart verwendet Schmelzer häufig in seinen sechs Sonaten für Violine und Generalbass. Mit den 1664 erschienen Werken knüpft er an die Brillanz der italienischen Violinschule an, entwickelt jedoch einen ganz eigenständigen, profunden Stil. Nicht nur virtuose Techniken wie anspruchsvolle Figurationen, Passagenwerk und Akkordzerlegungen kommen zum Zuge, Schmelzer experimentiert mit den Grenzbereichen der Geige und führt den Spieler etwa bis in die höchsten Lagen des Griffbretts oder erfindet neue Strichtechniken mit dem Bogen. Er gilt damit als Begründer einer spezifisch österreichischen Violintradition, die ihren vorläufigen Höhepunkt dann in der nächsten Generation mit Schmelzers Schüler Heinrich Ignaz Franz Biber hat. Damit ist diese Musik prädestiniert für ein Ensemble, das sich ganz dem österreichischen Barockklang widmet, dem Geiger Gunar Letzbor und seiner Ars Antiqua Austria. Und tatsächlich, Ensemble und Komponist sind ein Matching Team, das hört und spürt man bei jedem Ton dieser Aufnahmen.

AUF DER SUCHE NACH UNGEWOHNTEN HARMONISCHEN WENDUNGEN

Bei Gunar Letzbor kommt noch die unscheinbarste Note im dichten klanglichen Netzwerk zur Geltung. Nicht die Finger übernehmen die Regie, jede Figur, jede Phrase ist vollständig durchdrungen und gelebt. Damit kommt Letzbor der Musik von Johann Heinrich Schmelzer sehr entgegen. Denn auch bei ihm ist die Virtuosität nie Selbstzweck, sie ist stets auf eine expressive Klanglichkeit gerichtet und sucht zum Beispiel auch nach neuen, ungewohnten harmonischen Wendungen.

Die Form dieser sechs Sonaten folgt noch keinem Muster. Die kontrastierenden Sätze können ohne Satzpause ineinander übergehen, auch finden sich kaum Tänze - und das obwohl Schmelzer am Wiener Hof berühmt war als Komponist von Ballettmusiken. In seinen Instrumentalsonaten bevorzugte er aber die ernsthaftere Sonata da chiesa als Grundlage, vielleicht auch, um seine sonstige Arbeit zu kontrastieren. Der Generalbass wird mit Cembalo oder Orgel und Laute ausgeführt. Nur bei zwei Stücken, die zur Auflockerung eingestreut sind, treten noch zwei weitere Geigen hinzu.

ZUM DAHINSCHMELZEN

Gunar Letzbor setzt sonst auch gerne gezielt rauere Töne ein, wo es der Musik dienlich ist. Bei diesen Schmelzer-Sonaten dagegen folgt er den farbigen und abwechslungsreichen Wendungen durchgängig mit einer manchmal schon fast betörend innigen Klangschönheit, wie man sie selten hört. Schmelzer zum Dahinschmelzen.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 20. März 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK


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