REVIEW

RONDO: 01.2007
GRAMOPHONE: 06.2008
MUSIK AN SICH

 

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Klassik · CD · Rezensionen

Beniamin Ludwig Ramhaufski, Joseph Balthasar Hochreither
Gloria in excelsis Deo (Missa à 23, Missa ad multos annos)
Ars Antiqua Austria, St. Florianer Sängerknaben, Gunar Letzbor
Symphonia/harmonia mundi SY 06220
(66 Min., 2/2006) 1 CD

Trotz barock-konzertanter Prachtentfaltung mit Trompeten und Pauken entfalten Gunar Letzbor und seine Musiker in diesen beiden barocken Messkompositionen eine sehr ruhige, streckenweise geradezu intime Klanglichkeit. Das hat mehrere Gründe: Die originale Besetzung der hohen Vokalpartien mit Knabenstimmen (wie selten bekommt man das trotz starker Verbreitung der historischen Aufführungspraxis zu hören!) trägt sicher wesentlich zu diesem Höreindruck bei, außerdem auch die sehr durchsichtige Artikulation, deren sich der gesamte Klangapparat befleißigt. Letztere führt mit ihrem starken, sehr kleingliedrigen Einsatz des Messa di voce gelegentlich zu einer gleichförmig-schleppenden Fortbewegung der Musik, die gemeinsam mit den eher ruhigen Tempi den konzertanten Charakter vieler Sätze ein wenig zu verschleiern droht. Dies ist wohl im Wesentlichen Sache des Dirigenten; die gesangliche Leistung der St. Florianer Sängerknaben als solche ist dagegen hoch zu loben: Überaus intonationsrein und klangschön agieren die Sopran-Knaben, die doch wegen der heute früher eintretenden Mutation viel weniger Zeit zur Vervollkommnung ihres Könnens hatten als ihre barocken Vorgänger. Die Stücke selbst, entstanden wohl 1670 bzw. 1705, waren es freilich wert, ausgegraben und auf gutem Niveau eingespielt zu werden: Zwar bieten sie vor dem Hintergrund des bisher bekannten Repertoires jener Zeit keine ganz außergewöhnlichen oder überraschenden Aspekte, aber sie erfreuen durch höchst organische Faktur und aussagekräftigen Textbezug. So dokumentiert diese CD sicher ein etwas abseits des Alte-Musik-Mainstreams angesiedeltes, aber sehr wohl hörenswertes Projekt.

Michael Wersin, 12.01.2007

 

 

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Hochreither• Ramhaufski
Hochreither Missa ad multos annos
Ramhaufski Missa a 23

St Florianer Sangerknaben Ars Antiqua Austria/ Gunar Letzbor
Symphonia (D SY06220 (66' • DDD)

Obscure corners of Baroque church music illuminated on a rewarding issue

The Benedictine abbey at Lambach in Upper Austria was founded in 1056. Its library contains illuminated manuscripts of medieval music, and Mozart visited the abbey to perfbrm on four occasions. Research undertaken since 2002 has revealed a treasure trove of musical works written by musicians associated with the abbey. Two such composers are featured on this disc, which was recorded in the historic building itself: Beniamin Ludwig Ramhaufski (c163 1-1694), who probably played a crucial part in the installation of an organ that is still preserved in situ today, and the Salzburgborn Joseph Balthasar Hochreither (1669-1731), who perhaps studied with Biber.
Ramhaufski's Mass a 23 survives in parts at the neighbouring monastery at Kremsmiinster, and is a finely crafted work that in no way suffers from comparison with Biber. Ars Antiqua Austria play with commendable articulation and shapeliness, and the contributions from trumpets and trombones are particularly excellent. The small vocal force of St Florianer Sangerknaben, assisted by a few adult soloists, is very good indeed: consort passages possess attractive clarity and the fuller choral sections swell with the perfect amount of resonance.
Hochreither's Missa ad multos annos, first performed at Lambach for the consecration of a new Abbot in 1705, is an even finer work The choral and instrumental elements are much like the older composer's style but the overall flow of the music is more imaginative in dramatic wordsetting, and the passages for soloists and consort are in a more elegant and expressive style. Gunar Letzbor's pacing and characterisation of the music is well nigh perfect. Anyone curious to explore the more obscure byways of Baroque church music will find this rewarding.
David Vickers

 

 

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Missa Rectorum Cordium

Musikrichtung: Barock
VÖ: 18.01.2008
Symphonia (CD, DDD (AD: 2006) / Best.nr. SY 06223)
Gesamtspielzeit: 50:18

LAMBACHER PRACHT

Wer die Lebensdaten des österreichischen Benediktinerpaters und Komponisten Romanus Weichlein (1652-1706) sieht und dazu von einer "Messe à 15" liest, wird geneigt sein, das Werk an der bekannten Festmesse Heinrich Ignaz Franz von Biberss zu messen. Das ist insofern nicht ganz falsch als auch die vorliegende Messkomposition aus dem Jahre 1687 dem "stilus solenne" barocker österreichischer, genauer: Salzburger, Prägung zuzurechnen ist.
Dem entspricht nicht zuletzt die repräsentative Besetzung mit je drei Posaunen und drei Clarinen, sowie häufig im Einsatz befindlichen Pauken. Ungeachtet mancher Ähnlichkeit ist Weichleins Stil aber den Messvertonungen seines böhmischen Zeitgenossen Vejvanovský näher als denen seines Landsmannes Biber. Weichleins Werk erstarrt keineswegs in barocker Pracht, sondern erweist sich als überraschend experimentell und sogar dramatisch. Dies zeigt sich bei der Verwendung eines sechsstimmig geführten Chores ebenso wie bei der Nutzung eines vielfältigen und farbenreichen Instrumentariums und außergewöhnlichen Einfällen: So vertont Weichlein das Kyrie nicht wie üblich im symmetrischen ABA-Schema. Überhaupt unterläuft er gerne Erwartungen an Aufbau und Taktstruktur, greift zu Takt- und Tempowechseln. Nach einem auf diese Weise höchst bewegten und bewegenden Kyrie folgt ein prachtvolles Gloria, das sich in seiner doppelchörigen Anlage venezianischen Vorbildern annähert. Mittel- und Höhepunkt ist das rund zwölfminütige Credo, bei dem vor allem die für jene Zeit ungewöhnlich sorgfältige musikalische Textausdeutung auffällt. Nach den einleitenden Fanfaren verstummen die Trompeten zunächst und treten erst wieder beim "Crucifixus" in Erscheinung, wo sie mit Dämpfer im Staccato trauermarschartige Einwürfe zu spielen haben. Dieser durchschlagende, erschütternde Effekt wurde zu einem festen Topos, auf den selbst 80 Jahre später noch Mozart in seiner Waisenhaus-Messe (KV 139) zurückgriff. Hiernach wechselt Weichlein wiederum den Takt und führt das Credo ab dem "Et resurrexit" außerordentlich schwungvoll zum Abschluss.
Hörerwartungen werden schließlich auch im Sanctus unterlaufen, welches an Stelle der üblichen Sanctus-Rufe zunächst mit einem Instrumentalteil beginnt und sich auch danach erst stufenweise zu einem Jubelchor ausweitet. Demgegenüber erscheint das Agnus Dei eher schlicht, dafür aber um so ausdrucksstärker gehalten.
Es ist also eine Messvertonung von ganz herausragender Bedeutung und Qualität. Aus den bis dahin unveröffentlichten, im Stift Kremsmünster gefundenen Einzelstimmen erstellte Claudia Gerauer erst 2005 eine aufführungsfähige Partitur. Ihr und dem auftraggebenden Ensemble Ars Antiqua Austria verdankt die Musikwelt damit einen bislang unentdeckten, neuen-alten Schatz.
Diesen präsentiert Gunar Letzbor in seiner Einspielung glanzvoll und überzeugend. Vor allem lässt er das Orchester mit viel Schwung musizieren und scheut sich nicht, den alten Instrumenten ihren Geräuschanteil zu belassen. Das zeichnet sich schon im einleitenden "Canon über das Post-Hörnl" ab, einem gleichermaßen humor- wie effektvollen Stück, welches man besser unmittelbar vor die Messkomposition gestellt hätte, statt noch die beiden "Officien für die Karwoche" dazwischen zu schieben, die zum Festcharakter nicht recht passen wollen.
Der erwähnte Orchestersound und nicht zuletzt das "knackige" Orgel- und Lautenspiel führen bisweilen zu fast jazzartigen Effekten, die nichts von erstarrter Pracht, sondern viel von barocker Lebensfreude an sich haben. Dazu schmettern die Trompeten und Clarinen, dass es nur so eine Lust ist.
Eine Überraschung ist, wie sich der in den Knabenstimmen - und dies auch nur in den Forte-Passagen - lediglich je vierstimmig besetzte Chor gegen diese instrumentale Wucht behauptet. Das sängerische Niveau der St. Florianer Sängerknaben ist erstaunlich hoch, die angerauten, homogenen Knabenstimmen harmonieren zudem gut mit dem manchmal widerborstigen Klang der Originalinstrumente.
Als gelungenen Coup darf man den Einsatz von Radu Marian als Sopransolist bezeichnen. Marian, 1977 geboren, ist ein sog. endokrinologischer Kastrat. Anders als ein Countertenor braucht er also nicht auf das Falsett zurückzugreifen, um die hohen Töne zu erreichen. Seine Stimmfarbe gleicht dann auch eher der einer Knaben-, teils auch einer Mädchenstimme, nur dass sein Sopran eine Kraft und Beweglichkeit aufweist, die ein Knabe wegen des geringeren Lungenvolumens und der kurzen Ausbildungszeit bis zum Stimmbruch für gewöhnlich nicht erreicht.
Nicht ganz so glanzvoll aber ebenfalls virtuos tönt der Altus Markus Forster.
Die auch klangtechnisch ausgezeichnet realisierte Produktion macht unweigerlich Lust auf Mehr. Hierfür ist zum Glück vorgesorgt:
Wer bei Weichlein verweilen möchte, kann hierzu auf die Vorgänger-Produktion zurückgreifen (R. Weichlein, Missa Sanctissimae Trinitatis, Symphonia 2004).
Um aber noch mehr über das Musikleben im Kloster Lambach und die dortige Stilentwicklung zu erfahren, sei die CD "Gloria in excelsis deo" empfohlen (Symphonia, 2006, Best.nr. SY 06220). In gleicher Besetzung werden hier die Missa à 23 von Benjamin Ludwig Ramhaufski (1631-1694) und die Missa ad multos annos von Joseph Balthasar Hochreither (1669-1731) vorgestellt. Es ist eine kaum weniger lohnende Entdeckungsreise. Ramhaufskis 1670 uraufgeführte, oppulent besetzte Messe lebt vor allem von ihren Kontrastwirkungen. Gunar Letzbor lässt hier eher ruhig und trotz der großen Besetzung transparent musizieren, der Chor zeigt sich der anspruchsvollen Musik durchweg bestens gewachsen. Von ganz anderer Art ist die Messvertonung Hochreithers aus dem Jahre 1705: Dem fünfstimmigen Vokalenemble tritt vor allem der strahlende, vielbeschäftigte Trompetenchor gegenüber. Ungeachtet solchen Glanzes reicht die Komposition in Qualität und Originalität an Weichleins Werk allerdings nicht heran.

Sven Kerkhoff